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Bildungsform Homeschooling im Zusammenspiel mit digitalen Medien

Beispiele aus der Praxis

Bildungsform Homeschooling im Zusammenspiel mit digitalen Medien

Im Gegensatz zu Deutschland war Homeschooling in den USA schon vor der Corona-Krise bekannt und beliebt. Dort ist Homeschooling eine legale Bildungsform.

Als die Schulen im Bundesstaat New York im Bezirk Monroe aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen wurden, begann für meine beiden Töchter der Unterricht zu Hause, das sogenannte Homeschooling. Meine Kinder sind in der siebten beziehungsweise neunten Klasse– und ich sah mich gut für die Aufgabe gerüstet, sie zu Hause zu unterrichten, denn in den vergangenen fünf Jahren hatte ich mich intensiv mit Homeschooling in den USA beschäftigt: Nachdem ich jahrelang selbst eine Homeschooling-Familie begleitet hatte, führte ich eine Metastudie über Homeschooling in den Vereinigten Staaten durch und publizierte die gewonnenen Erkenntnisse. Ich fühlte mich also bestens für Homeschooling vorbereitet und war auch gerne bereit, den Unterricht zu Hause anzugehen – schließlich hatte ich bereits bei der Geburt meiner Kinder meinen Job aufgegeben, um bei ihnen zu Hause zu sein und sie in ihrer Entwicklung zu begleiten, da gerade die ersten Entwicklungsjahre sehr wichtig für die Kinder sind. Ich hatte also damals schon eine Art von Homeschooling betrieben. Ich  musste dieses Mal aber feststellen, dass Distance Learning bei meinen Töchtern recht unkompliziert funktioniert. Beide arbeiten schon seit der vierten Klasse mit einem Tablet, das ihnen von der Schule das ganze Jahr über zur Verfügung gestellt wird. Vor den Sommerferien werden die Tablets jeweils eingesammelt und auf Vordermann gebracht. Die Schüler bekommen die Geräte dann im Herbst wieder ausgehändigt, und sie dürfen sie bis zum Abschluss in der zwölften Klasse benutzen. Meine beiden Kinder hatten also bereits vor der Schulschließung ihre Tablets regelmäßig im Unterricht benutzt und mit dem „Google Classroom“ Programm (Eine Internetplattform, welche allerdings nicht DSGVO-konform ist, wie z.B. die schul.cloud® ;Anm. d. Red.) gearbeitet. Schon vor Corona hatten die Lehrer auf „Google Classroom“ Hausaufgaben, Videos und Websites gepostet. Meine Kinder sind sehr ehrgeizig und gewissenhaft und erledigten ihre Aufgaben stets selbstständig vor dem Abgabetermin. Trotzdem kam es hin und wieder vor, dass der Abgabetermin samstags um 0:00 Uhr war und meine Töchter um 21 Uhr noch mit ihren Tablets im Zimmer saßen und die Aufgaben erledigten. Das Schuljahr ist nun zu Ende, und beide haben die Corona-Zeit zu Hause im Homeschooling gut gemeistert.

Im Gegensatz zu Deutschland war Homeschooling in den USA schon vor Corona bekannt und beliebt. Dort ist Homeschooling eine legale Bildungsform und seit 1993 in allen Bundesstaaten anerkannt. Anders als in Deutschland besteht in den USA eine Bildungspflicht und keine Unterrichtspflicht: Rund 3,8 Prozent aller schulpflichtigen Kinder werden in den USA zu Hause unterrichtet. Diese Bildungsform wird von den Bildungsministerien in den einzelnen Bundesstaaten reguliert.

In  Deutschland dürfen Familien ihre Kinder nicht zu Hause unterrichten – tun sie es doch, begehen sie eine Straftat und werden zunächst mit einem Bußgeld bestraft. In den Nachbarländern, zum Beispiel in der Schweiz und in Österreich, ist Homeschooling hingegen legal.

Worin besteht nun der Unterschied zwischen Homeschooling während der Corona-Zeit und Homeschooling, wie es bereits vorher in den USA legal war?

Der größte Unterschied zwischen den beiden genannten Homeschooling-Formen besteht in der Rolle der Eltern: Beim Homeschooling, wie es schon vor Corona in den USA verbreitet war, haben sich die Eltern bewusst und freiwillig dazu entschieden, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Sie planen und organisieren den Unterricht selbst und führen ihn auch selbstständig zu Hause durch. Die Eltern, die sich bewusst für diese Unterrichtsform entscheiden, zeigen ein hohes Interesse und Engagement bezüglich der Bildung ihrer Kinder. Homeschooling-Familien müssen zu Beginn eines jeden Schuljahres dem Schulbezirk das Curriculum jedes Faches vorlegen. Vierteljährlich müssen Berichte an den Oberschulrat des Schulbezirks über den Verlauf des Homeschoolings geschickt werden. Diese Materialien sollten für zwei Jahre archiviert werden, sodass am Ende des Schuljahres bei eventuellen Stichproben durch den Oberschulrat untersucht werden kann, ob das Kind auch tatsächlich 180 Tage im Schuljahr zu Hause unterrichtet wurde. Die Dokumente mit den Angaben, wann und wie lange in dem Schuljahr unterrichtet wurde, müssen jedoch nur dann eingereicht werden, wenn sie vom Oberschulrat angefordert werden. Am Ende eines jeden Schuljahres müssen Homeschooling-Schüler in den Hauptfächern getestet werden. Hierzu gibt es kommerziell publizierte, standardisierte Tests, die die Homeschooling-Schüler absolvieren und eine bestimmte Punktzahl erreichen müssen, damit sie weiter zu Hause unterrichtet werden dürfen. Werden diese Regelungen und Gesetze von den Homeschooling-Eltern nicht eingehalten, müssen die Kinder an einer öffentlichen Schule angemeldet werden und diese besuchen.

Aus der Metaanalyse der 24 dargestellten Untersuchungen in meiner Studie geht hervor, dass Homeschooling-Schüler in allen Tests am Ende des Schuljahres genauso gute oder sogar bessere Ergebnisse erzielen im Vergleich zu Schülern, die öffentliche Schulen besuchen. Weiterhin zeigt sich, dass sie während und nach Abschluss des Studiums keine Defizite im Sozialverhalten haben, sondern genauso selbstbewusst und erfolgreich sind wie Schüler von öffentlichen Schulen. In den letzten Jahrzehnten hat Homeschooling in den USA einen enormen Aufschwung erlebt, und es stellt sich die Frage, warum sich Hausunterricht immer größerer Beliebtheit erfreut in einem Land, in dem Bildung in öffentlichen Schulen stattfindet und vom Steuerzahler finanziert wird. Entsprechende Zahlen zeigen, dass Homeschooling in den vergangenen Jahrzehnten zu den am schnellsten wachsenden Bewegungen im Bereich Bildung geworden ist. Es kann hier tatsächlich von einem nationalen Phänomen und einem wichtigen sozialen Trend gesprochen werden, der mittlerweile die ganze Gesellschaft erreicht hat.

Zu Beginn der ersten Homeschooling-Welle in den 70er Jahren war diese Unterrichtsform noch eher religiös motiviert. Heutzutage aber geben Homeschooling-Eltern als hauptsächliches Motiv für Homeschooling an, ihren Kindern eine bessere Bildung ermöglichen zu wollen als die, die sie in der Schule erhalten – die Eltern sind unzufrieden mit der akademischen Bildung an öffentlichen Schulen. Weiterhin machen sie sich Sorgen um das herrschende Schulklima. Außerdem soll der Unterricht zu Hause an die Bedürfnisse und Interessen der Kinder individuell angepasst werden, wobei die Eltern alternative Unterrichtsmethoden anwenden wollen.

Welche Rolle spielen die digitalen Lernmöglichkeiten?

Wie wird der Unterricht zu Hause durchgeführt, und welche Rolle spielen hier die digitalen Lernmöglichkeiten? Aus der Studie geht hervor, dass es noch immer schwierig ist, genaue Daten zur Methodik von Homeschooling zu erheben. Die Vielfalt der Homeschooling-Methoden ist so groß, dass es fast unmöglich ist, diese zu kategorisieren. Die Eltern müssen viele Entscheidungen treffen, wenn sie sich für Homeschooling entscheiden. Diese Entscheidungen beziehen sich auf Fragen wie: Benutze ich Textbücher oder nicht? Wenn ja, welche sollen es sein? Soll der Unterricht strukturiert und formal oder flexibel und kindorientiert oder eine Kombination aus beidem sein?

Auf jeden Fall haben die zunehmenden digitalen Lernmöglichkeiten maßgeblich zur Verbreitung und Popularität von Homeschooling beigetragen. Heutzutage gibt es zahlreiche digitale Lernmöglichkeiten: Von Unterrichtsstunden und Online-Kursen an Schulen bis hin zu Kursen an Colleges und Universitäten wird alles angeboten. 59 Prozent der befragten Eltern geben an, Online-Kurse beim Homeschooling in Anspruch zu nehmen (Princiotta et al. 2006). Dadurch ist es für die Eltern einfacher geworden, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, da die Fächer, die sie selbst nicht unterrichten können, durch verschiedene Online-Kurse abgedeckt werden können. Diese Online-Kurse sind insbesondere in der Oberstufe, wo der Unterricht in den Fächern spezialisierter ist, sehr hilfreich für die Eltern. Man kann Curricula für alle Fächer und für alle Jahrgangsstufen kaufen – inzwischen besteht ein Millionengeschäft mit Homeschooling-Materialien. Untersuchungen, die während der Corona-Zeit und während des auferlegten Homeschoolings durchgeführt wurden, zeigen, dass manche Kinder von dem Unterricht zu Hause profitieren und sehr erfolgreich bei dieser Art der Bildung sind. Nachdem alle Familien in Deutschland nun die Gelegenheit hatten, Homeschooling (gezwungenermaßen) kennenzulernen, wäre es an der Zeit, diese Methode der Beschulung auch hierzulande als legale Unterrichtsform anzuerkennen.



Margot Heike Melas-Geiger studierte Pädagogik und Englisch an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und ist Lehrerin für Pädagogik, Englisch, Deutsch als Fremdsprache und evangelische Religion.

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